Der Blick in mein Bücherregal
Ungarn in Europa – Sind die Ungarn Europäer?
Europa (wie auch Ungarn) definiert sich NICHT aus seiner Vergangenheit heraus, sondern allein in seiner Zukunft …
Ungarn vs Europa
Kollektives Bewusstsein
Wie tief sich Geschichte im kollektive Bewusstsein einer Nation behaupten kann, zeigten jüngst die Briten mit ihrem Brexit, der, nüchtern betrachtet, eher ein Austritt der Engländer war, deren Mehrheit genügte, um die schottische Mehrheit gegen den Brexit zu überstimmen.
Gut oder schlecht?
Man wähnt sich noch im British Empire, obgleich davon nichts übrig blieb als der Commonwealth of Nations mit zwar 53 (!) Mitgliedsstaaten, von denen allerdings nur 16 in Personalunion mit der Britischen Krone verbunden sind. Bedeutung? Eher noch ein Symbol der Vergangenheit. Doch wie man bei den Briten erlebte, noch immer wichtig in zahlreichen Köpfen. Gut oder schlecht?
Polen
Wie Geschichte wirken kann, vor allem dann, wenn konservative Kräfte zu Mehrheiten gelangen, habe ich in diesem Blog bereits am Beispiel Polen dargestellt. Den Beitrag finden Sie hier>>>
Doch in einer Demokratie gelangen stets die Kräfte zu Mehrheiten, die auch mehrheitlich gewählt werden, und wenn die sich auf Traditionen stützen, dann muss es zumindest einen Nährboden geben, auf dem die Pflanzen auch gedeihen können.
Nationalismus
Bei Briten wie Polen, die Besinnung auf einstige Größe und Macht, und speziell bei Polen, der Stolz auf ein wiedergewonnenes nationales Selbstbewusstsein, nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Abhängigkeit. Ob man das verstehen will oder nicht, erträglich so lange, wie nicht eigene Größe über die anderer gestellt wird. Nationalismus wird erst dann reaktionär, wenn er versucht, die Nation über andere zu stellen.
Die Ungarn
Auch hier lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Ein Büchlein in meinem Bücherregal erinnert mich daran, eines meiner ältesten, das man noch in gut sortierten Antiquariaten findet. Ich bekam es geschenkt, da besuchte ich die 5. Klasse. Géza Gárdonyi, „Ich war den Hunnen Untertan“, erschienen 1964 im Prisma-Verlag Leipzig. Die Geschichte des byzantinischen Schreibsklaven Zeta, der als Mitglied einer Gesandtschaft an den Hof des Hunnen-Königs Attila kommt.
Nationalhelden
Attila, der noch heute in Ungarn wie ein Held verehrt wird, verehrt und verklärt, als Gründerfigur der Nation, was er nicht einmal war. Doch welche Rolle Personen im Geschichtsbewusstsein einer Nation spielen, sieht man bei den Spaniern am Cid.
Mir ist nicht bekannt, ob Viktor Orbán zu den Verehrern Attilas gehört, vorstellbar wäre es, weil unbestreitbar Nationalist und Populist, der dabei ist, demokratische Institutionen abzubauen oder zu paralysieren, wie die Regierenden in Polen.
Zusammenhalt wäre wichtiger
Die Rückbesinnung auf einstige Größe und Stärke ist ein scharfes Schwert. Wenn es in die Hände von Nationalisten und Populisten fällt, wird aus Patriotismus sehr schnell ein übersteigerter Nationalismus. Schädlich für die Verständigung der Völker. In Zeiten von Klimawandel und Pandemien wäre Zusammenhalt und Solidarität wichtiger denn je.
Orbán und Orbán
Ach ja, und dann fällt mir noch ein, apropos Orbán, es war ein Ungar namens Orbán, der im Jahre 1453 für die Belagerung Konstantinopels durch die Osmanen mit dem Basilisk die größte Kanone der damaligen Zeit und für lange Zeit danach baute. Vielleicht träumt Victor Orbán davon, dessen Nachkomme zu sein …?
Ungarn in Europa
Hört man EU-Befürworter (zu denen ich rückhaltlos gehöre, aber aus anderen Gründen), so fallen oft Begriffe wie: gemeinsame Werte, gemeinsame historische und kulturelle Wurzeln, verwandte Sprachen, das Imperium Romanum als Grundpfeiler eines gemeinsamen Rechtssystems und somit die Basis, aus der heraus das Neue Europa gewachsen ist. Alle falsch oder nur zum Teil richtig Halbwahrheiten. Europa ist in seiner historischen Entwicklung diverser als man es heute vielfach zugeben will.
Geschichte Ungarns
Und hier beginnt bereits der erste große Fehler der „Europa-Erklärer“, weil sich Europa NICHT aus seiner Vergangenheit heraus definiert, sondern allein in seiner Zukunft. Warum das so ist, das lässt sich sehr anschaulich an der Geschichte Ungarns demonstrieren.
Sie selbst nennen sich Magyaren, der Name eines mehrerer Stämme, die das pannonische Becken besiedelten. In dem im Englischen wie in den romanischen Sprachen enthaltenen Hung (Englisch hungarian, Spanisch húngaro) stecken tatsächlich die Hunnen.
Was eint und trennt
Dem gegenüber soll der deutsche Name der Ungarn aus dem slawischen onogur stammen. Vielleicht hatte aber auch derjenige, der das Wort Ungarn ins Deutsche brachte einen Sprachfehler und konnte das „H“ am Anfang nicht aussprechen, wer weiß das schon so ganz genau?
Was die Mehrheit der Europäer sprachlich eint ist die indogermanische Sprachfamilie. Eint, aber auch gleich wieder trennt, weil die drei großen Gruppen sich, wie die Kulturen, zu denen sie gehören, unterschiedlich entwickelt haben.
Sprachgruppen
Wer als Deutscher in der Schule Latein lernte, dem fällt es leicht, Italienisch oder Kastilisch zu erlernen, beim Französisch, Katalanisch, Portugiesisch oder Rumänisch wird es schon etwas schwieriger. Die Ähnlichkeiten des Vulgärlateins, wie man die Sprachen auch nennt, nehmen insofern ab, wie sich die Zeitdauer der römischen Herrschaft verringert. Und wer Englisch oder Schwedisch lernt, dem hilft eher seine deutsche Muttersprache.
Sprache und Kultur
Und Russisch (?), da sind wir bei der dritten europäischen Sprachgruppe, dem Slawischen. Zu keiner davon gehört Ungarisch, das entstammt einer völlig anderen Familie, der uralischen, wie Estnisch, Finnisch und Samisch. Sprache ist einer der wichtigsten Träger der Kultur, und so wie sie sich voneinander unterscheiden, die Sprachen, so unterschiedlich entwickelten sich Kulturen.
Großmacht
Die Ungarn, im ausgehenden Frühmittelalter bis ins Hochmittelalter hinein, eine Großmacht (wie Polen), die ganz Europa zwei Jahrhunderte lang in Angst und Schrecken versetzte. Zuerst von Heinrich I. besiegt, was dessen Königsmacht im Ostfränkischen Reich stärkte, endgültig von Otto I. 955 auf dem Lechfeld.
200 Jahre später von den Mongolen fast von der Landkarte gefegt, danach in Personalunion von Polen regiert, von den Türken erobert und schließlich, bis zu dessen Verfall 1918 Teil Habsburgs.
Bis zur Neuzeit
Wie stark die ungarische Oberschicht in allen Zeiten war, zeigte sich darin, dass bei den Habsburgern nichts ohne die Zustimmung der Ungarn ging.
Wie Polen erlangte Ungarn nach dem 1. Weltkrieg die nationale Souveränität zurück, Zuerst als sozialistische Räterepublik, ab 1920 faktisch Wiedereinführung der Monarchie, später Annäherung ans faschistische Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg in Stalins Reich gezwungen und 1989 das erste Loch in den Eisernen Vorhang gerissen. Dafür sollten wie Deutsche den Ungarn dankbar sein.
Geschichtsklitterung
Um es noch einmal zu wiederholen, eine Reihe Argumente einiger Europaerklärer, erinnert an Geschichtsklitterung. Aber Geschichte lässt sich weder ändern, noch korrigieren, sie verlief wie sie verlief, man kann zukünftig lediglich Fehler vermeiden. Mit dem Patzer Ludwigs des Frommen, der, nach seinem Tode, 843 zum Vertrag von Verdun führte, war die Chance auf ein europäisches Großreich vertan und Europa dividierte sich politisch wie kulturell und später wirtschaftlich auseinander.
Kampf gegen Nationalismus
Dem Umstand muss man auch so Rechnung tragen, in der Rückschau, was die angeblich gemeinsamen Wurzeln betrifft. Die Europäische Union ist die einmalige Chance, diese Entwicklung aufzuhalten und umzukehren. Aber den Kampf gegen den Nationalismus gewinnt man nicht, indem man Geschichte ignoriert oder gar fälscht, sondern indem man sie erklärt und nicht Vereinendes in den Raum stellt, das es aus der Vergangenheit heraus gar nicht gibt. Das liefert Nationalisten völlig unnötig Argumente.
Keine Verteufelung
Zu der Auseinandersetzung gehört eben auch, dass man die Ursachen des Nationalismus versteht und erklärt und ihn nicht von vornherein verteufelt. Konservative Elemente gibt es in jeder Gesellschaft, damit muss man umgehen können. Verteufelung treibt ihnen, den Nationalisten, Menschen in die Arme, vor allem solche, die ängstlich auf Veränderungen reagieren, wie das die AfD in Deutschland eindrucksvoll zeigt.
Ungarn gehört zu Europa – selbstverständlich
Die Vermittlung der europäischen Idee als Zukunftsprojekt muss bereits im Kindergarten beginnen.
Und ja, um auf die Frage in der zweiten Überschrift zurückzukommen, selbstverständlich sind die Ungarn Europäer, ihr Staat liegt auf dem Kontinent, wenn auch ethnisch anderer Abstammung. Doch das trifft auch für Deutsche zu, deren Eltern in Afrika oder sonst wo geboren sind, sobald sie die Staatsbürgerschaft tragen sind sie Deutsche. Bleibt zu hoffen, dass die Mehrheit der Ungarn sich darauf besinnt, zu Europa zu gehören.
Der Roman
… ist eine ist eine anschauliche und fesselnde Schilderung des Lebens und der Sitten an Attilas Hof und der das Hunnenreich umgebenden Welt des 5. Jahrhunderts. Eine Zeit des politischen Umbruchs, des Niedergangs und der Entstehung neuer Reiche auf den Trümmern Roms auf dem Höhepunkt der Völkerwanderung. Das Buch führt den Leser, die Leserin in die Zeit zwischen der alleinigen Machtübernahme Attilas nach dem Mord an seinem Bruder, über die Schlacht bei Troyes im Jahre 451 bis hin zu Attilas Tod im Jahre 453.
Géza Gárdonyi
Der Autor, Géza Gárdonyi, war bekannt für seine tiefgründige Recherche, die dem Roman eine hohe Wirklichkeitsnähe verleiht. Er ist ein vortrefflicher Erzähler, der den Leser hineinzieht ins Geschehen.
Géza Gárdonyi, geboren am 3. August 1863 in Agárdpuszta, am Velencer See in Ungarn, ist deutscher Abstammung. Die Familie des Vaters stammte aus Sachsen.
Weitere Werke
Gárdonyi verstarb am 30. Oktober 1922 in Eger, wo auch sein bekanntester Roman entstand, „Sterne von Eger“, über die Verteidigung der Stadt gegen die Türken. Der Roman wurde zweimal verfilmt. Die zweite Fassung aus dem Jahre 1968 lief auch in den Kinos der DDR.
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Am Ende der Seite geht es in einem Dialog aus meinem Romanzweiteiler „Chrissys Tagebuch“ ebenfalls um Europa. Ausführliche Leseproben finden Sie hier>>>
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