Eine der wenigen, doch eine zu viel
Über die jüngere Geschichte eines Hauses – einer Ruine in Erfurt
Die Ruine und ihre Ursachen – Nicht alles ist Wiedergutmachung, was nach Wiedergutmachung auszusehen scheint oder aussehen soll!
Ruine, die vor sich hin gammelt
Da ich in einer gewissen Beziehung zu dem Gebäude, zu der Ruine, stehe oder besser gesagt stand, wollte ich das Thema einfach einmal in die Öffentlichkeit bringen und stellte zunächst einen Text bei Facebook ein.
So lautete der Text vor einigen Tagen bei Facebook:
Etwas, das mir seit Jahren unter den Nägeln brennt.
Schon öfter erschien hier (bei FB) das Bild einer „Ruine“ in der Kürschnergasse, noch nie das Bild einer solchen, die ebenfalls inmitten der Altstadt steht. Vielleicht ein Ort, der weniger stark frequentiert ist? Mitnichten, fuhren (und fahren) doch hier alle bisherigen Ministerpräsidenten bis hin zum amtierenden täglich, wöchentlich auf dem Weg in die Staatskanzlei mehrmals vorbei.
Nimmt keiner Notiz?
Mit Sicherheit auch andere hohe Regierungsbeamte. Über die Einbiegung Lange Brücke in die Marstallstraße. In der Anfangszeit nach der Wende mag das noch nicht aufgefallen sein, gab es doch genügend anderer Objekte dieser Art, andere Ruinen. Doch wenigstens in den letzten fünfzehn Jahren sollte dem einen oder anderen die Frage in den Sinn gekommen sein: warum steht ein dem Verfall preisgegebenes Haus, eine solche Ruine, inmitten sanierter oder neu erbauter Immobilien?
Wo sind die Lokaljournalisten, die nach der Ruine fragen?
Fragen wir die Lokaljournalisten. Hat sich keiner von Ihnen bislang diese Frage gestellt? Oder will man es nicht wissen? Gibt man sich mit den in solchen Fällen üblichen, einfachen Antworten zufrieden, wie: ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Spekulationsobjekt (der Eigentümer wartet, bis die Immobilienpreise noch weiter steigen oder andere …). Soviel nur: keine der einfachen Antworten trifft in diesem Falle zu. Da ich sie kenne, die Antwort, und vor dem Hintergrund einer aktuellen Diskussion, habe ich mich entschlossen, mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit zu gehen … (Text Ende)
Antisemitismus
Das Wort „Wahrheit“ möchte ich an dieser Stelle durch die Worte „Tatsachen“ oder „Fakten“ ersetzen. Weil, mit der Wahrheit ist das immer so eine Sache. Auslegbar, beugbar, erklärbar, warum das Eine und nicht das Andere …
Fast vergessen, nie wirklich, da mich meine Wege immer wieder an diesem Grundstück vorbei führen. Eher abgehakt. Allein vor dem Hintergrund des 70. Jahrestages der Gründung des Staates Israel, vor dem Hintergrund einer erneut belebten Diskussion über Antisemitismus und dessen Ursachen, entschloss ich mich, die mir bekannten Fakten, die dazu führten, dass dieses Gebäude noch immer in einem beklagenswerten Zustand vor sich hin gammelt, der Öffentlichkeit preis zu geben.
Bei uns gab es keinen Antisemitismus
Voraus schicken möchte ich, dass es in der Familie, in der ich aufwuchs, keinen Antisemitismus gab. Im Gegenteil: mein Opa versteckte im Februar 1945 zwei polnische Juden, die aus dem KZ Buchenwald geflohen waren, in einer Feldscheune. Dort versorgte er sie mit Lebensmitteln bis im April die Amerikaner eintrafen. Der eine starb kurz nach dem Krieg an den Folgen der Lagerhaft. Der andere, Jaschu (ich schreibe den Namen, so wie er gesprochen wird. An die richtige Schreibweise erinnere ich mich nicht mehr), schrieb noch bis in die 60 er Jahre hinein an allen christlichen (!) Feiertagen Postkarten. Selbst dann noch, als mein Opa bereits verstorben war.
Existenzrecht eines jüdischen Staates in Palästina
So lange, bis wohl auch er den letzten aller Wege antreten musste. Dafür genießt mein Großvater noch heute, vierundfünfzig Jahre nach seinem Tod, meinen höchsten Respekt.
Während des Sechs-Tage-Krieges, an den ich mich noch sehr genau erinnere, wie während der folgenden Kriege, saßen wir abends vor dem Fernseher und freuten uns darüber, wenn die israelische Armee Siege errang. Ich verzichte an dieser Stelle darauf, auf die Vielschichtigkeit von Ursachen und Wirkungen dieser Kriege einzugehen und will es bei der Feststellung belassen, dass ich das Existenzrecht eines jüdischen Staates in Palästina für unverhandelbar halte. Ebenso das Recht der Juden für die Wiedergutmachung erlittenen Unrechts.
Nur ist nicht alles Wiedergutmachung, was nach Wiedergutmachung auszusehen scheint oder aussehen soll!
Maschinerie der Meinungsmache
Man möchte meinen, das auf dem Territorium eines Rechtsstaates geltende Recht, träfe für alle und für alles zu. Für Menschen, für Sachen, mobil oder immobil. Dass es Ausnahmen gibt, zeigt die jüngere Geschichte des Gebäudes, der Ruine, um die es hier geht. Ob diese Ausnahmen rechtens oder nicht rechtens sind, das mag der Leser selbst entscheiden. Für mich ist es Unrecht. Womöglich befeuern solche Ausnahmen aber gerade eine Maschinerie der Meinungsmache (wie andere), denn es ist diesseits nicht bekannt, wie viele andere es davon noch gibt.
Das Grundstück
Das Haus befand sich im Besitz einer jüdischen Familie. Wertbestandteil einer Handels GmbH. Einer Familie mit zwei Söhnen und einer Tochter. Ein Sohn verheiratet, ein weiterer sowie die Tochter unverheiratet. Vor Machtübernahme der Nationalsozialisten wanderten die beiden unverheirateten Kinder nach Palästina aus. Sie wurden vom Vater angemessen entschädigt, verwendeten das Geld für ihren Neustart in Palästina. Der verheiratete Sohn, verheiratet mit einer „Arierin“, meinte, der Kelch würde aus vorgenanntem Grunde an ihm vorbeigehen. Er irrte sich. Die verbliebene Familie wurde 1938 von den Nazis enteignet. Er landete im KZ. Das Grundstück wurde ins Eigentum der Stadt Erfurt überführt.
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Nach Übernahme durch die DDR dem Verfall preisgegeben
Im Jahre 1946 kehrte er nach Erfurt zurück und erwarb (!) das Grundstück von der Stadt Erfurt. Er bekam es nicht rückübertragen, sondern kaufte es zurück. Dies auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Thüringer Wiedergutmachungsgesetzes.
Aus der Ehe ging ein Sohn hervor, der in Erfurt geboren wurde. Die Familie verließ Anfang der 50 er Jahre die DDR. Das Gebäude wurde, da in der DDR jüdischer Besitz nicht enteignet wurde, in staatliche Verwaltung genommen. Damit war es, wie dutzende andere, dem Verfall preisgegeben.
Nach der Wende stellte der einzige noch lebende legitime Erbe einen Antrag auf Rückübereignung. Er hatte alles hier Dargelegte akribisch in den Archiven recherchiert. Bis hin zu der Tatsache, dass Onkel und Tante ohne Nachkommen in Palästina verstorben sind.
Die Claims Conference bekam Recht
Dem Antrag wurde zunächst stattgegeben. Doch kurz bevor es zum Verkauf an einen Investor kam, stellte die „Conference on Jewish Material Claims Against Germany“, kurz Claims Conference (CC) genannt, einen Rückübereignungsantrag. Die Begründung lautete, es ginge um die Interessen möglicherweise noch lebender Nachkommen. Dem einzigen nach deutschem Recht verbliebenen Erben räumte man ein Drittel des vereinbarten Kaufpreises ein. Die übrigen zwei Drittel stünden der CC zu. Der Fall wurde bis in die letzte mögliche Instanz verhandelt, die CC bekam Recht, obwohl der Erbe seinen Anspruch bis ins Detail nachweisen konnte. Dies nach in Deutschland geltendem Erbrecht.
Die Claims Conference
Fakt ist, dass die Rechte und Ansprüche, die von der CC gegenüber der Bundesrepublik wahrgenommen wurden, nach der Wiedervereinigung auf das ehemalige Territorium der DDR erweitert wurden und Bestandteil des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen wurden. Fakt ist aber auch, dass es im Gesetzestext heißt: die CC sei ersatzberechtigt für all die Fälle, in denen die jüdischen Berechtigten keinen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt hätten. Die Betonung liegt auf „die Berechtigten“. Diese Regelung ist gut und richtig.
Opfer werden erneut zu Opfern
Der Grund: die CC sollte an die Stelle früherer Eigentümer treten, deren Familien entweder komplett vernichtet wurden oder deren möglicherweise noch lebenden Nachkommen keine Kenntnis von den früheren Besitzungen haben oder die aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, entsprechende Anträge zu stellen. Es ist gut und richtig, wenn Staaten oder Unternehmen, die sich am Eigentum Ermordeter oder Vertriebener bereichert haben, Entschädigungen zahlen müssen.
Dies trifft in diesem Falle nicht zu. Im Gegenteil, hier wird ein Opfer bzw. dessen Erbe erneut zum Opfer.
Ohne Rücksicht Kasse machen
Es gibt in Deutschland wie in anderen Staaten, in denen entsprechende Vereinbarungen mit der CC bestehen, eine ganze Reihe ähnlicher Fälle, bei denen noch lebende Nachkommen mit lächerlichen Beträgen abgefunden wurden.
Hier geht es nicht darum, jüdische Opfer zu entschädigen, hier geht es nur um eines: ohne Rücksicht Kasse zu machen. Der Deutsche Staat und die Justiz ducken sich ab und lassen Bürger dieses Landes im Regen stehen.
Jeder vernünftig denkende Mensch muss zu dem Schluss kommen, dass solche und ähnliche Fälle keine Gründe für Antisemitismus liefern.
Amtsmissbrauch und Korruption
Doch liefern sie denen Argumente, die nach Gründen suchen. Dass es dafür genügend offene Ohren gibt, erleben wir jeden Tag. Völlig unnötig zudem, würde Politik und Justiz nach geltendem Recht verfahren. Es wird immer Menschen geben, die, gibt man ihnen die Gelegenheit dazu, dem Versuch nachgeben, sich am Eigentum anderer zu bereichern. Wenn dies jedoch von Politik und Justiz gedeckt wird, dann darf man es durchaus als einen Skandal bezeichnen.
Dass es im Umfeld dieser Ruine auch noch einen ganz besonderen Fall von Amtsmissbrauch und Korruption gab, sei nur am Rande erwähnt. Doch ist das eine andere Geschichte …
Update 07.12.21
Es tut sich endlich was
wie man inzwischen feststellen darf. Mein Leser Hagen Vedder aus Erfurt schickte mir dieser Tage ein paar Fotos, auf denen Aktivitäten am Gebäude erkennbar sind. Der rechtmäßige Eigentümer, zu dem ich noch einen lockeren Kontakt pflegte, erzählte mir bereits vor der Veröffentlichung dieses Artikels im Jahre 2018, es käme allmählich Bewegung in die Angelegenheit. Vielleicht hat sich ja doch jemand stark gemacht, ob aus dem Rathaus oder der Staatskanzlei, wer weiß das schon so ganz genau. Wichtig allein: es gibt vielleicht demnächst ein Schandfleck. eine Ruine weniger in dieser Stadt, Glück auf!
Update 14.04.22
Der Winter vorbei, endlich wieder mit dem Rad fahren, heute dachte ich mir: fahr doch mal wieder über die Lange Brücke, und siehe da, meine Lieblingsruine in Erfurt, wie Sie aus vorangegangenem Text entnehmen können, abgerissen. Sah es im Dezember vergangenen Jahres (siehe Foto oben) noch so aus, als würde man eine Sanierung vorbereiten, hat man sich, wie nicht zu übersehen, für Abriss und Neubau entschieden. Aber wie dem auch sei, ein Schandfleck, eine Ruine weniger in der Stadt.
Die Holocaust-Industrie
Für alle, die sich mehr für dieses Thema interessieren, hier noch ein Literatur-Hinweis: Norman G. Finkelstein – „Die Holocaust-Industrie: Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird“
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass dieses Buch zu heftigen öffentlichen und zu sehr kontroversen Debatten führte. Die Kritik richtete sich jedoch mehr gegen die Methodik, denn gegen die Inhalte. Ob es Wasser auf die Mühlen der Antisemiten war, wie das Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, befand, möchte ich bezweifeln.
Wasser auf die Mühlen der Antisemiten?
Dann wäre zum Beispiel ebenso jegliche Kritik an der israelischen Administration Wasser auf die Mühlen derselben. Dann wäre auch der oben beschriebene Fall Wasser auf die Mühlen der Antisemiten. Unrecht wird nicht dadurch geheilt, dass es im Namen und vor dem Hintergrund eines anderen, eines noch viel größeren Unrechts ausgeübt wird. Dennoch hier ein Link zu einer Kritik des Buches>>> sowie zu einem Interview mit Finkelstein im Tagesspiegel>>>
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